#Pflege – Bitte vergesst uns wieder

Guten Tag, mein Name ist Stefan Si***, es reicht mir, wenn Sie Stefan sagen, bitte nicht Herr Pfleger, das ist so sperrig. Vielleicht hatten Sie einen Unfall, vielleicht leiden Sie an einer chronischen Krankheit, wie auch immer, irgendetwas ist passiert, entweder sind Sie freiwillig gekommen oder wurden gebracht. Ich verstehe, dass Sie sich den Tag anders vorgestellt haben, bestimmt hatten Sie Besseres vor, als Zeit im Krankenhaus zu verbringen. Es ist meine Aufgabe, Sie zu unterstützen und wieder fit für Ihr Zuhause zu bekommen.

So oder so ähnlich gehen in einem die Gedanken, wenn man versucht, sich selbst und seinen Beruf auch mit den Augen des Patienten, des Menschen, gegenüber zu reflektieren. Pflege ist ein Berufsstand, den niemand brauchen will. Ohne darauf einzugehen, wie andere europäische Länder professionelle Pflege für ihre Bürger anbieten, kann man nüchtern und ohne Groll feststellen, dass man uns nicht gerne nötig hat. Man möchte nicht in eine Situation kommen, in der ein dicker Mann wie ich beim Aufstehen, beim Essen und bei den kleinen oder großen Geschäften hilft.

Pflege geniest dennoch einen stabilen Respekt in der Bevölkerung, regelmäßig landen wir bei Beliebtheitsumfragen auf vorderen Plätzen. Taucht man etwas tiefer, kommen Sätze wie „Finde ich toll, ich könnte das nicht“ gut, aus dem gleichen Grund könnte ich kein Tischler sein, es fehlt mir am Können. Ist es neunmalklug, gar fatalistisch, wenn mein Beziehungsohr raushört „Ich will das nicht machen müssen“

Unsere „Kundschaft“ ist signifikant älter und gebrechlicher als der Bevölkerungsschnitt. Besonders fällt das auf, wenn ich mein Krankenhausdenken kurz abstelle und auch an die Kollegen*innen in der ambulanten Pflege und in den Pflegeheimen denke.

Pflege ist ein unzufriedener Beruf. Die Verweildauer ist gering, es gibt einen Ausdruck für das Hinwerfen und die berufliche Neuorientierung: Pflexit. Es existiert keine bundesweite Berufskammer. Wir sind zwar die ersten, die lächelnd vor die Kamera geschleift werden aber sehr weit unten in der „Rangordnung“ im Gesundheitssystem, obwohl wir zahlreichste Berufsgruppe sind.

Und dann kam Covid

Wenn dieser Blog online geht, hat das Bundesland Thüringen beschlossen, das Vieles wieder normal werden darf. Es ist ein Segen, die Krise in der Mitte der Republik erlebt zu haben, Thüringen war statistisch immer unter den letzten Fünf, was aktive Fälle und Todeszahlen betrifft. Währenddessen steppt in meiner Heimat Bayern der Bär.

Weder arbeite ich auf Intensiv-, noch auf einer internistischen Station, auf der klassischerweise Infektionskrankheiten behandelt werden. Die akute Angst vor einer Ansteckung war gering, es gab drei Schreckmomente, in denen man bereits im Kopf addierte, wieviele Leute man die letzten zwei Wochen getroffen hat, bestätigt hat sich zum Glück nichts.

Unsere Probleme, meine Probleme, waren eigentlich nicht neu, sie waren nur etwas schärfer. Zu scharf!

Weiter wie immer

Bestimmt wird mich irgendwer dafür verhauen, was ich gleich sage: Pflege ist ein Frauenberuf! Das ist eine statistische Gewissheit. Nein, das hat nichts damit zu tun, dass oder ob Frauen über mehr Herzenswärme verfügen (anderes Thema und ganz dünnes Eis!), die meistens Pflegenden sind cis weiblich. Je nach Bereich zwischen 60-85%.

Und jetzt werden mich gleich die verhauen, die eben noch gezuckt haben: Frauen und ihre Berufe sind in unserem Leistungssystem und traditionellem Familienbild…. Irgendwie nicht so wichtig?

Bezahlung? Nä, der Mann verdient das Geld! Kinderbetreuung? Nä, die Frau soll zu Hause bleiben! Natürlich gibt es auch Männer, die im Schichtssystem schuften, das wird aber deshalb nicht als Problem angesehen, weil? Richtig! Die Frau zu Hause bei den Kindern bleibt und der Mann das Geld heranbringt.

Wer jetzt Puls hat oder Kotzen möchte: Ja, natürlich ist das Quatsch. Selbst wenn sich Paare bewusst dafür entscheiden, solch eine Aufteilung in der Familien zu führen, das ganze Konstrukt ist unrealistisch, fragil und lange überholt.

Und dann kam Covid. Als erstes wurden wir in „Systemrelevant“ und nicht relevant eingeteilt. Wer sich mit Partner oder Partnerin akribisch genau ausgerechnet hat, wieviel Prozent Teilzeit jede*r arbeiten kann bevor man wegen all dem Rumplanen wahnsinnig wird, bekam jetzt auf jeden Fall Probleme, Kind und Krankenhaus unter einen Hut zu bekommen, denn die Notfallbetreuung war und ist ein Witz. Und wurde irgendwann abgeschafft… Ich möchte an der Stelle nochmal mit dem Finger darauf zeigen, dass wir es hier mit einem Beruf zu tun haben, der an 7 Wochentagen Schichtsystem fährt, es ist also schon im Normalbetrieb ein Nervenakt.

Work-Life-Balance ist wichtig, wurde uns in der Ausbildung eingetrichtert. Woran man Burnout erkennt wurde uns beigebracht (nicht, wie man ihn verhindern kann). Und das fiel plötzlich weg. Jede*r von uns hat seine Copingstrategien. Wie wir uns entspannen können ohne auf die nächste Schicht zu warten. War es eine Gruppenaktivität? Tja, wird jetzt blöd für die nächsten zwei Monate…

manchmal hört man einfach Musik in Endlosschleife um die Gedanken im Kopf zu dämpfen
Keep on running – There’s no place like home!

In dieser Zeit haben sich bei mir online mehrere Bubbles gebildet, verschlossene Gruppen in denen wir Quatsch gemacht aber uns auch emotional voreinander ausgekippt haben, sei es nur, um zu Wissen, dass wir nicht alleine sind.

Schutzkleidung. Tests. Oh Gott, wer soll das bezahlen? Geld hin oder her, es gab zeitweise ja gar keine Schutzausrüstung. Und immer die Gewissheit: Ich muss, falls ich mich infiziere sowieso weiter arbeiten, so ist es vorgesehen. Nicht weil es Sinn macht, sondern weil allen Entscheidungsträgern klar war: Es geht nicht anders, sonst bricht das System zusammen. Das kommt eben raus, wenn man Jahrzehnte lang reduziert und die Zeichen nicht sehen will. Dienstverpflichtung steht im Raum! Hey! Ich weiß immer noch nicht, wie ich mein Kind morgen unterbringen werde, aber natürlich kann ich gerne für das „größere Gut“ Tag und Nacht bereitstehen. Dann muss ich mich nachts auch nicht in den Schlaf weinen, weil ich es vermisse, liebe Menschen in den Arm zu nehmen!

Es ist faszinierend, wie man so wichtig und so unwichtig zugleich sein kann.

Für kurze Zeit haben die Menschen geklatscht. Ich erkenne die Geste dankend an, ich gehöre nicht zu denen, die das vollends sarkastisch abtun. Im Effekt ist die Aktion leider sinnlos. Statt uns zu Applaudieren, wäre es klüger, den Politikern mit der Faust zu drohen. Pflegende, Lehr- und alle sozialen Berufe, warum hört ihr nicht auf sie? Warum hört ihr nicht auf uns? Der Wagen war schon an die Wand, aber wir sollen einfach weiter fahren.

Bevor irgendeine Diskussion in die Öffentlichkeit getragen werden konnte war das Klatschen wieder verstummt. Daher am Ende eine einfache Bitte:

Bitte vergessen Sie uns

Ich kann verstehen, dass Sie nichts mit Pflege zu tun haben möchten. Selbst schon nicht und als Betroffene*r erst Recht nicht. Wenn Sie Glück haben müssen Sie das auch nicht. Aber irgendwann sind Sie vielleicht alt oder gebrechlich, dann wird Ihnen aber niemand mehr zuhören. Uns hört jetzt schon niemand zu. Also bitte, tun Sie sich selbst und Ihrem Gewissen einen Gefallen: Vergessen Sie uns!

Vielen Dank und wenn noch was ist: Die Klingel liegt auf dem Nachttisch.


Nachwort

Dieser Artikel entstand nach und nach. In den letzten zwei Wochen sind Dinge passiert, die ich stilistisch nicht unterbringe und deswegen nachträglich einwerfe.

Zum Einen #BlackLivesMatter und die damit verbundenen Proteste. IMHO ist schon die Überlegung, ob der Zweck die Mittel – also sichtbare Demos auf der Straße – rechtfertig sinnvoll, am Besten hat es aber für mich Dr. Christian Lübbers zusammengefasst:

Zum Anderen hielt letzten Freitag ein sehr von mir geschätzte Internetbekannte und Pflegende für mehrere Minuten ein Kind im Arm, um es zu beruhigen. Ihre Klinik macht mustergültiges Aufnahmescreening, niemand sah ein Risiko, aber dann kam das positive Abstrichergebnis. Wir empören uns fast täglich über Bilder im Internet in denen Menschen in Massen zu dicht auf einander sitzen, aber hauptsache, sie wird jetzt zwei Wochen zu Hause eingesperrt….

Es ist noch längst nicht vorbei. Ja, es ist eine Situation, die im Schnitt nur alle 100 Jahre auftaucht und jeder Mensch daher maximal 1x im Leben erlebt. Andere Länder haben ihre Angelegenheiten wesentlich schlechter geregelt als wir (looking at you, Mr. President!). Wir hatten aber vorher schon Probleme und es ist törich, davon auszugehen, dass sie JETZT angepackt werden…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert