Ein Bild einer Frau mit geschlossenen Augen

Bitte nicht Anfassen – über Consent

Natürlich ist mir bewusst, ich bin ein Mann, wer auch immer eine realistische (!) und allgemein gültige Version haben möchte, der höre lieber wirklich Betroffenen – also Frauen, weiblich Gelesenen und margnialisierten Gruppen – zu (und wir wissen beide, das passiert nicht) oder nehme die hier niedergeschriebenen Gedanken x100 und runde danach großzügig auf.

Behutsames Züchtigen

Interessant, wo einen die Online-Biographie so hinführt. Durch die Apokalypse Anfang 2020 ergaben sich mehrere Dinge, eins davon mit dem größten Nachhall dürfte sein, dass sich eine sehr gute Online-Freundin und eine weitere Dame zuerst online kennenlernten und schließlich zarte Bande miteinander knüpften. Und das diese besagte Dame Moderatorin in einem – wegen Coronny – neu gegründeten Discord-Server wurde, der zwar kein BDSM-Server war, aber zu einem gutem Teil von Personen aus dieser Subkultur gegründet und verwaltet wurde. Also, selbst wenn es hier sehr jugendfrei zuging, erhielt ich als geneigter Gast in den virtuellen Gewölben einen guten Eindruck über ….. nein, nicht wie man sich gegenseitig am Besten den Popo verhaut, sondern: Consent! Wie miteinander umzugehen ist, was Safe Sane Sensual bedeutet und was für ein Scheißbuch die “50 Graustufen“ sind.

„Covern“ kannte ich als den Akt, ein Stück zu nehmen, selbst neu zu interpretieren und so ein fremdes Werk als eigenes Werk mit Lizenz unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen. Mir war nicht bewusst, dass damit auch der Akt „Des sich bewusst von einer Vertrauensperson überwachen lassen“ verstanden wird, wenn es um Blind Dates geht. Und so durfte ich ein paar Diskussionsrunden und Live-Podcasts beiwohnen, die alle unter verschiedenen Blickwinkeln das Thema hatte: Bevor man kinky wird, erst das Gehirn einschalten. Safe, Sane, Sensual.

Wenn covern, dann bitte mit vielen vielen Begleitpersonen

Und bitte kein Augenkontakt

So war es auch kein Thema und erfrischend normal, als ich Anfang 2022 zum ersten Mal eine liebe Person aus dem Internet traf, vorhatte mit ihr auf ein Konzert zu gehen und das auch noch in einer fremden Stadt. Apple User*innen haben AirTag, ich habe die allerbeste Partnerin auf Dauerstandby. Das ganze begann aber nicht mit der erleichternden Erkenntnis, dass das Gegenüber wie erwartet keine axtschwingende Irre ist, sondern begann Wochen vorher. Was sind No-Go‘s? Was ist bitte zu vermeiden? Ja, Neurodiversität spielt hier ein wenig ein Rolle und es wäre angenehm wenn einem die eigene Wahrnehmung keine Arbeit machen würde für diese 24 Stunden. Darum auch meine einfache Bitte: Kein Augenkontakt!

Ja, tut mir leid, wenn ich mit dir, liebe lesende Person, jemals Augenkontakt gehabt habe, dann habe ich wahrscheinlich auf Deine Nasenwurzel geblickt, das sieht für Dich nämlich genauso aus. Ja, ich kenne die Implikationen von Dingen wie „Augenkontakt ist unangenehm“, denkt Euch Euren Teil.

Als dann – mehrere Monate später – ein Treffen mit zwei sehr lieb gewonnenen Berufskolleginnen im relativ nahen Franken anstand, war die Peinlichkeit, solche Grenzen anzusprechen bereits weg, die guten Dinge und die bösen Grenzen in wenigen Kurznachrichten abgearbeitet.

Erinnerung: Wie sprechen hier nicht von halbromantischen Verabredungen für „untenrum“, wir sprechen von platonischen Treffen zum Zwecke des Gedankenaustausches, zum Konzertbesuch und zum Picknicken. Allesamt mit Menschen, denen Öffentlichkeit in gewissem Rahmen unangenehm ist. Und zugleich Übung von dem was – nicht immer mit reinen Motiven – „Achtsamkeit“ genannt wird, Dinge und Überlegungen, für die man gerne von einer gewissen Gruppierung als „Snowflakes“ oder „die wertlose Gen Z“ (ich bin fast 43!) bezeichnet wird. Aber mit solchen Leuten möchte ich mich eh nicht austauschen, weder online noch offline.

Und dann die Realität

Wie wichtig solch ein Verhalten zu lehren und zu leben wäre erkenne ich, wenn ich den Realm der „perversen“ BDSMler und der „verweichlichten“ Neurodiversen verlasse und wieder zu meiner täglichen Arbeit schreite. Ja, tut mir leid, all dieser Build-up dafür, dass es mal wieder um Pflege geht. Kommt, des schaffen wir jetzt auch noch miteinander.

Es gibt „unverschämte“ Bitten, aber es kommt sehr darauf an, wie sie vorgetragen werden. Es war einmal eine Dame, frisch operiert, ausserdem war sie schon vor vielen Jahren erblindet. Routiniert half ich ihr nach der OP aus dem Bett, im Stehen scherzte sie, dass es ihr leid täte, dass ich jetzt „Ihre Pfunde durch die Gegend wuchten“ müsse. Ich verwies auf meine eigenen Leibesfülle und dass es mehr um Technik als um Kraft ginge und es mich nicht anstrengen würde. Sie dachte kurz nach.

„Darf ich sie betasten?“ fragte sie nach einer kurzen Stille. Klar, ohne Augenlicht, kann sie sich kein „Bild“ von meinem Körper machen, zumindest nicht, ohne mich anderweitig zu erfassen. Finde ich nur fair und ich stimmte zu. Sie strich über mein Schulterblatt seitlich an Brust und Bauch vorbei bis runter zur Hüfte. Ihre Berührung fühlte sich „aufmerksam“ an, nichts Falsches, nichts Schmutziges hatten diese Hände vor. Ihr abschließendes Urteil: „Nein, dick sind Sie nicht, aber Sie sind ein Teddybär“ Wir lachten und schritten zu zweit weiter.

Da gab es eine „Wiederholungstäterin“, der schon beim Aufenthalt zuvor mein dichtes Haar aufgefallen war. Dieses war inzwischen noch mehr geworden, ich lies es gerade wieder wachsen. Ich war „der bayerische Pfleger mit den schönen Haaren“ – ein Spitzname, den ich gerne zulies, die Dame war eine sehr direkte und sehr herzliche Person. Ihr eigenes Haar durch diverse Vorerkrankungen dünn geworden, fast nicht mehr vorhanden. Als ich also am Ende eines Dienstes an ihrem Bett kniete um eine Drainge zu leeren überkam es sie uns sie fragte gerade heraus: „Pfleger SiS, darf ich Ihr Haar berühren?“ und wenn es nur dies war um dieser starken Frau eine Freude zu machen, gerne doch. Es war kein Streicheln, kein Wuscheln, sie wollte nur wieder einmal volles Haar spüren.

Und schließlich die Normalität

Die Normalität besteht aus Klapsen auf den Hintern des wesentlich jüngeren, wesentlich schlankeren Kollegen mit der Bemerkung „Haste gut gemacht, Süßer“, besteht aus ungefragtes Streicheln über meinen dicken Bauch (Hallo? Intimzone 50cm um den Körper herum?) aus der Bitte gegenüber Kolleginnen, ob man zu der Bedarfsmedikation noch ein Küsschen haben könne und der Feststellung, dass der eigene Pen!s doch viel größer wäre, wenn die junge hübsche Schwester beim Waschen helfe.

Wie gesagt – dies ist nicht primär mein Problem, die weiblichen Kolleginnen sind da wesentlich betroffener. Diejenigen die über die Stränge schlagen sind meistens männlich aber nicht nur. Das ist Realität. Das der Unterschied zwischen „professioneller Berührung“ (das ist ein definierter Begriff) und Rumtatschen von Vielen nicht erkannt wird (ich finde den Unterschied eigentlich recht eindeutig) geschenkt. Das ist die Normalität. Das sind die Normalen. Und in dieser Normalität wünsche denke ich mir manchmal:

Zu einer Person mit diversen Neigungen, vielleicht queer, vielleicht Neurodivers, könnte ich jederzeit sagen:

„Nimm mich, wie du es möchtest, mein Safeword ist „D-Moll“, aber bitte sieh mir dabei nicht in die Augen!“

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